Das ist der Moment

Familie Kasi plant einen Urlaub – eine Woche Wandern im wunderschönen Zillertal. „Rockt nicht zwingend“, bekennt der Große grundehrlich und zieht eine Schnute. Dabei nennt er ungefähr 203 Internet-Adressen, die Last-Minute-Reisen in alle Welt im Angebot haben – also nicht nur ins Zillertal, sondern in die Karibik, nach Südafrika oder auf irgendeinen Kreuzfahrt-Kahn. Aber egal: Wenn Rock ’n‘ Roll – wegen Juniorkeks Paul – gerade nicht angesagt ist, muss man sich halt auch einmal mit einem Walzer zufrieden geben. Hauptproblem für Herrn Kasi sind weder fehlende Action am potenziellen Urlaubsort Mayrhofen oder die dortige Stubenmusik, sondern kapazitäre Probleme in Frau Kasis Scirocco. Familienkutsche ist nicht mehr, seit der Opel Blitz das Zeitliche gesegnet hat. Frau Kasis kleiner Scirocco ist zwar schön und schnell, aber damit in Urlaub? Während Frau Kasi Angst um Lieblingsfelgen und Samtlack hat, sorgt sich Herr Kasi eher um die 34 Polohemden, die unsere Familie neben Kühlschrank, Waffeleisen und Reserve-Nachtlicht immer im Kofferraum hat, wenn man auf große Fahrt geht.

Ja, ich gebe es zu. Wir nehmen IMMER zu viel mit. Sachen für warmes Wetter. Sachen für kaltes Wetter. Sachen gegen Wind, Nässe, Fußpilz, Baby-Blähungen, ausgefallene Zahnkronen (obwohl wir gar keine haben, aber man weiß ja nie) und natürlich viel Nahrung. Kekse, laktosefreie Milch, Landjäger, Brot, Marmelade, Nutella. Es könnte im Zillertal ja schließlich spontan eine Hungersnot ausbrechen. Dieses Mal fassen wir uns sehr knapp; dem Rocco und dem Mini-Kofferraum mit obendrein hoher Ladekante sei Dank. Trotzdem sitzt Peter längs auf Paulchens Tragekraxe, und Paulchen kämpft (Gerd Müller, der Bomber der Nation, wäre stolz auf ihn), tretend mit beiden Beinchen gegen das Laptop von Frau Kasi und meckert laut und vernehmlich: „Bähähähä.“ Was frei übersetzt vermutlich soviel heißt wie: „Meno. Ich bin der Kleinste. Und ich bin eingebaut wie die Dosenpyramide aus Gulasch bei Aldi. Gemeeeeein.“

Als alle letztendlich – viel zu spät und nassgeschwitzt – im Auto sitzen und Herr Kasi schweratmend die letzten Paar Wanderschuhe im Handschuhfach verstaut hat, mag das Navigationsgerät (liebevoll „Isolde“ genannt) urplötzlich Österreich nicht mehr. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich urplötzlich keine österreichischen Karten mehr laden lassen. „Ups, da ist beim Aktualisieren wohl was schief gegangen“, spekuliert Herr Kasi, und wie auf Kommando fahren die Köpfe herum zu Peter, unserem kleinen IT-Crack. „Vermutlich mag Isolde lediglich den stark und falsch schwäbelnden Ansager nicht“, mutmaßt Frau Kasi. Ihr geht der vermeintlich freundliche Automaten-Herr ebenfalls gewaltig auf den Keks. Dieser nölt –  statt eines umgänglich-sachlichen „Sie haben Ihr Ziel erreicht…“  bei der Ankunft schleimig: „Sodele, jetzedle. Du bisch do. Viel Spaß…“ Kommando zurück. Dass Paulchens Windel fies duftet, passt ganz gut. Herr Kasi aktualisiert sämtliche (!) Karten neu, was laut Anzeige 37,5 Minuten dauert. Man lässt noch kurz die Spülmaschine laufen. Jetzt, wo noch etwas Zeit ist.

Irgendwann sind alle Digital-Karten auf Isolde wieder drauf. Was nicht fertig ist, ist die Spülmaschine. Um diese Zeit zu überbrücken, redigiert Frau Kasi einen letzten Text. Man muss die Zeit doch sinnvoll und gewinnbringend nutzen. Als die Spülmaschine klar gespült hat, ist Frau Kasi aber erst beim vorletzten Absatz. Herr Kasi wird ungemütlich. Satte vier Stunden Verspätung. Das ist selbst für unsere Verhältnisse mal richtig viel. Wieder im Auto. Wieder fieser Dampf aus Paulchens Hose. Irgendwann ist Paulchen wieder stadtfein, Herr und Frau Kasi rasen vom Wickeln nach unten. Das ist auch bitter notwendig, denn Peter hört zur Urlaubseinstimmung im Hof sehr laut „Das ist der Moment“ von den Toten Hosen (gegen 9.30 Uhr). Passend und sinnstiftend zugleich, denn urplötzlich verebbt Campinos Refrain im Nichts, und das so eben neu geladene Navigationsgerät wird dunkel. „Nein!“, brüllt Frau Kasi, „war der ganze Sch… immer am Strom? Ihr wisst doch, dass die Batterie schwach ist!“ Als Frau Kasi behutsam den Schlüssel im Zundschloss dreht, macht der Scirocco nur noch müde: „Böhöhöhö…“ Peter gibt seinen Senf dazu: „Ich sag’s ja immer… jetzt isser leer.“ Frau Kasi vergisst kurzfristig ihre gute Erziehung und brüllt ihren ärmsten Sprössling an: „Wer hört Musik? Wer tötet das Isolde-Navi? DU! Jetzt. Steigst. DU. Ein. Und. Bist. RUUUUHIG!“ Weil der neue Rocco aber dummreweise platzergiebig vor dem Garagentor steht, ist es gar nicht so leicht, den alten Scirocco zum Überbrücken nach draußen zu fahren. Dank Herrn Kasis Fahrkünsten (der Parkgott!) gelingt auch dieses Manöver ohne Fremdhilfe. Frau Kasi überbrückt. Der rote Scirocco läuft alsbald, der blaue kehrt – vermutlich leicht angesäuert – wieder in die Garage zurück. Endlich Abfahrt. Knapp fünf Stunden später als geplant. Respekt.

PS: Dass wir nach exakt 24,5 Minuten einkehren mussten auf ein ordentliches Frühstück,wird nicht separat erwähnt. Genauso wenig die Tatsache, dass just während des Überbrückens Nachbars freundlich winkend vorbeifuhren (vermutlich auf dem Weg zum Badesee) und sich ob des Tumults in Familie Kasis Hof sichtlich wunderten.

 

 

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