Atemloses Christkind im Bällebad

Sankt Martin, Nikolaus und Christkind – Paulchen verliert im Augenblick leicht den Überblick über all jene, die derzeit in den Häusern vorbeikommen wollen beziehungsweise irgendetwas mitbringen sollen. Unlängst haben wir sehr gelacht, als Sprössling 2 auf die Frage, was der Nikolaus wohl im Kindergarten mache, „tritratralalaaaa…“ antwortete. Dass der Nikolaus mit „dem Pferdle“ komme, musste ich leider ebenfalls verneinen – damit meinte der Kurze wohl eher den Sankt Martin, der obendrein auch noch Teilen lehrt. Eine Tätigkeit, die Paul derzeit eher vom Hörensagen kennt: Er gibt nicht gern was her – und schon gar nicht was zum Essen. Mit dem Martin versöhnte ihn jedoch die bunte Laterne, die im Kindergarten gebastelt wurde. Und die schönen Lieder.

Ganz kompliziert wurde es dann gestern, als in der Gute-Nacht-Geschichte, die ich zum Besten gab, die Rede war von diversen Weihnachtsengeln, die fix das Christkind begleiten und dem Weihnachtsmann emsig zur Hand gehen. Paulchen war total perplex: Wer waren all diese Leute? Die Sache mit dem Christkind war ja dann auch irgendwie noch okay – das sah so nett aus in seinem Buch. Dem Weihnachtsmann hingegen bescheinigte er schonungslos „eine dicke Bauch“, was ich nicht wirklich leugnen konnte, denn der Herr im Buch schien mir sehr aus der Form geraten zu sein. Außerdem hielt mein Sohn den Geschenkesack leider für einen Windelbeutel. Auch die Engelchen fanden nicht wirklich seinen Gefallen: „Sehen sehr tomisch aus….“ Paul kehrte also zurück zu einem bekannten Herrn: dem Nikolaus. Der kommt ja auch schließlich in den Kindergarten und ist von daher eine Autoritätsperson erster Güte. Paul, so teilte er mir mit, wird „Atenlos Gute Nacht“ für ihn singen und ihm das Bällebad zeigen. Paul, das Advents-und-Weihnachtsdings üben wir noch. Versprochen. Auch wenn sich der Nikolaus Deiner Meinung nach noch rasieren muss.

Nur ein Telefonat

Ich warte auf einen Rückruf – und zwar von einer reizenden Dame, mit der ich noch Details zu zwei Texten besprechen muss. Endlich hupt mein Handy – nur dummerweise zeitgleich mit der Türklingel. Vor der Türe steht die Musiklehrerin des Großen – pünktlich da für die nächste Stunde. Während ich mit dem einen Arm das Handy unters Ohr klemme, dirigiere ich die Musiklehrerin freundlich und wild gestikulierend ins Wohnzimmer zu Sohn 1. Sohn 2 indes wittert Morgenluft und brüllt aus Leibeskräften: „Auch Frau gehen. Nonnis zeiden.“ Das bedeutet frei übersetzt: Sohn 2 möchte die gefühlt fünfzehneinhalb Schnuller, die er in seinen Händchen und beiden Hosentaschen verstaut hat, unbedingt der Klavierlehrerin vorführen. Woher er diese hat, entzieht sich spontan meiner Kenntnis. Warum er das tun will, weiß ich auch nicht; dass ich das jetzt unmöglich zulassen kann, schon eher. Parallel erkläre ich der immer noch wartenden Dame am Telefon, dass es bei mir gleich wieder ruhiger ist und ich sofort wieder ganz Ohr bin für sie und Ihre Texte. Sohn 1 übt derweil schon eifrig Tonleitern, was man sehr gut hören kann.

Wie urplötzlich für Ruhe sorgen will, ist mir bis dato schleierhaft. Denn mittlerweile zettert Paul schon eine Oktave höher und schmeißt furienartig mit den fünfzehneinhalb Schnullern um sich. „Underecht! Auch Frau gehen! Imma nur der Peter!“. Ich beginne zu schwitzen und streichle ihm übers Haar. Kein Erfolg. Danach manövriere ich das Kind vorsichtig ins Büro des Manns, wo unzählige Micky-Maus-Heftchen auf einem Stapel liegen. Normalerweise schaut sich die Sohn 2 für sein Leben gern an: „Maus is‘ so lustid…“ Fehlanzeige. Sohn 2 würdigt weder Micky Maus, noch Kater Karlo oder Donald Duck eines Blickes und brüllt wieder, mittlerweile mit knallrotem Kopf: „Immer nur der Peter….“ Tränen schießen wie Sturzbäche aus seinen Augen. Ach, er tut mir Leid. Exakt bis zu dem Punkt, wo er sich auf den Boden wirft und mit den Beinen ums sein Leben zu strampeln scheint. Mir tritt der Schweiß auf die Stirn. Woher Ruhe nehmen und nicht stehlen? Die Dame am Telefon ist sehr verständnisvoll. Ich langsam nicht mehr.

Mit einem gezielten Griff packe ich den zweijährigen Thronfolger, der offenbar auf 180 ist und sich mit der ganzen Kraft seiner zehn Kilo windet wie ein Aal. Ich stelle ihn kurzentschlossen in sein Zimmer. Dessen Tür ist mit einem Gittertürchen verschlossen. Diese jähe Art der kleinkindlichen Freiheitsberaubung erbost den jungen Mann bis auf Letzte. „Mama so böse. Paul bloß abdestellt!!! Mama nimma mein Freund….“ Nun ja, er hat ja recht. Korrekt ist das sicher nicht – aber was tun? Also: Ich ziehe mich zügig ins benachbarte Schlafzimmer zurück, beende mein Telefonat mit Anstand und Höflichkeit. Plötzlich wird es ruhig. Alarmiert kehre ich zu meinem Kind zurück – wir reden von rund zwei Minuten, die ich noch zum Telefonieren gebraucht habe – im seligen Wissen, dass alles in Paulchens Zimmer kleinkindgerecht eingerichtet ist und ihm nichts passieren kann. Bevor jetzt alle jäh aufschreien und mir vorwerfen, ich würde mein Kind stundenlang einkerkern…

Paul sitzt – ein Bild für Götter – mitten in den Zutaten seiner Spielküche. Da sind Spiegeleier aus Plastik, Pommes dazu, ein Himbeerkuchen, ein Fisch, drei Kirschen, Tassen, Teller und rote Würstchen. Alles wild verteilt. Paul schluchzt: „Alles alleine aufdedesst.“ Also: Im Klartext: Wer mich einsperrt, kriegt auch nix mehr zu essen. Ein Bilderbuch später sind wir wieder Freunde. Puh. Noch einmal Glück gehabt.

Löffelweise Nutella – und Kirschlikör

Von ganz weit weg höre ich Wasser rauschen. Im Halbschlaf und nur ganz leise. Wer jedoch einen Paul in der Familie hat, ist stets in Alarmbereitschaft. Müde schiele ich auf meinen Wecker – exakt 5.38 Uhr – und hebe meine alten Glieder aus dem Bett. Ich hätte immerhin noch 22 Minuten dösen können. Ein Luxus, den ich mir normalerweise nicht nehmen lasse. Es sei denn, es rauscht Wasser. Der Mann stellt sich erfolgreich schlafend.

Mein Gefühl hat mich nicht getrogen. Auf der Treppe hopst mir bereits ein munteres Paulchen entgegen – sehr wach für diese Uhrzeit mitten in der Nacht. Für meinen Geschmack viel zu wach. „Hallo Mama. Ausdeslaft?“, erkundigt er sich teilnahmsvoll und weidet sich an meinem leicht derangierten Anblick: Wischmopp auf dem Kopf, die Brille hängt schief, der Karo-Schlafanzug ist leicht zerknautscht. Ich erkundige mich, was er macht. „Paul hat Hände dewascht.“ Ah ja. „Warum, denn, Paulchen?“ – „Hab schon Nutella-Brot dedesst.“ Nutella-Brot? „Paulchen, wer hat Dir das gemacht?“ Ich bemühe mich um einen beiläufigen Ton, der mir so früh morgens nicht so recht gelingen mag. Denn jetzt habe ich seinen Mund entdeckt. Den ziert ein Vollbart aus meiner heißgeliebten Nuss-Nougat-Masse. Paul indes wirft sich stolz in die Brust: „Na – der Paul selba. Brot selba demacht.“ Und in der Tat: Paulchen streckt mir zwei über und über mit Nutella bezogene Händchen hin. Und erwähnt vollkommen überflüssigerweise: „Hände aber immer noch voll?!“ Das sehe selbst ich. Mit schiefer Brille.

Paulchen und ich machen uns auf in die Küche. Zuerst wird das Kind gesäubert, was einer Spontan-Dusche im Spülbecken gleichkommt. Danach suche ich das Nutella-Glas, das unschuldig auf dem Couchtisch steht. Mit einem (zum Glück!) Kindermesser von Ikea darin. Der Nutella-Gehalt ist seit meiner letzten Benutzung am Abend zuvor deutlich dezimiert. Paul ist immer noch stolz: „Hat Paulchen gut demacht, oder, Mama?“ Ich kämpfe mit einem dicken Grinsen und erkläre meinem Kind, dass zu einem Nutella-BROT auch Brot gehört. Denn das hat Sohn 2 vergessen. Mittlerweile ist der Rest vom Haus auch wach, angeklockt vom Dusch-Lärm. Jetzt sind es sowohl Sohn 1 als auch der Herzensgatte, die mit dem Grinsen kämpfen, denn Frau Kasi kann Nutella ebenfalls löffeln. Bevorzugt heimlich und mitten in der Nacht. Seufzend ob so viel Ungerechtigkeit putze ich sämtliche Türklinken, Nutellaglas, Couchtisch, segne meine Ledercoutch, da abwaschbar, und mache mich auf ins Gästeklo. Auch dort hat das morgendliche Nutellamonster sich ausgetobt. Vor der ersten Tasse Kaffee des Tages – die für mich lebenswichtig ist! – will ich noch eben die Salzbrezelchen des Lieblingsgatten in den Schrank räumen. Ein Salzbrezelchen-Desaster im Wohnzimmer brauche ich jetzt schließlich nicht auch noch. Das knirscht so eklig…

Müde und unachtsam stoße ich dabei gegen eine große Flasche polnischen Kopfwehalarm-Kirschlikörs, die die letzten zehn Jahre bei uns im Wohnzimmerschrank verbracht hat. Die Ein-Liter-Pulle zerbirst mit lautem Knall auf meinem wunderschönen Holzboden. Und noch schlimmer: Ihr unsäglich süßer Inhalt ergießt sich nicht nur über den wunderschönen Holzboden, sondern fließt munter unter alle Schränke – bevorzugt den mit der gesamten Wohnzimmertechnik. Ich laufe zu Hochform auf und fluche laut. Sch… Likör! Zum Glück mochte den eh niemand (sonst wäre er vermutlich längst nicht mehr da?). Paulchen kommt schuldbewusst ums Eck‘ geschlichen: „Mama! Aufpassen!“ und sagt zu Peter: „Paul hat Flasche aber nicht kaputt demacht. Puh.“

Deda mam. Hmmm.

Letztens las ich einen schönen Text einer erfahrenen Mutter, die von einer „gesunden Form der Verwahrlosung“ schrieb, die beim zweiten Kind eintrete. Wissen Sie was? Sie hat recht! Wenn ich darüber nachdenke, was für einen Aufstand wir alle um Peters Ernährung machten, als der Kleine ungefähr so alt war wie Paulchen heute… Peter bekam alles, was in irgendeiner Form pädagogisch wertvoll, biologisch auf Herz, Nieren und Leber geprüft und am besten auch noch sehr spaßfrei daher kam. Nun gut, Peter wusste es nicht besser und dachte vermutlich, so sähe das Leben nach der Muttermilch halt einfach aus. Eine traurige Tristess aus ganz viel Naturbelassenheit und schrumpeligen Äpfeln. Tapfer mampfte das Männlein Hirseschleim mit Fenchel (uägh) und tonnenweise Möhrengemüse mit komplett unbehandeltem Fleisch, das schon beim Kochen seltsam vor sich hin roch. Süßigkeiten? Werk des Teufels! Kannte Peter nicht bis zu seinem zweiten Geburtstag (halt, bis auf eine kleine Ausnahme, als er den Süßwaren-Schrank im heimischen Wohnzimmer enterte und Gummibärchen stahl.) Klar. So liest man es (vermutlich irgendwie auch zu Recht) in jedem Babyratgeber. Tonnenweise Nutella und Schokokuss sind halt einfach nichts für kleine Mägen. Dem stimme ich auch voll und ganz zu.

Wohl fast jede Mutter mit mehr als einem Sprössling wird mir bestätigen, dass ab dem zweiten Kind alles anders wird. Viele Gedanken macht man sich gar nicht mehr. Ehrlich gesagt sind viele auch gar nicht nötig, und die Zeit hat man irgendwie zwischen Diktatüben, Schwimmtraining und Schachkurs auch nicht mehr. Paul zum Beispiel isst vom Tisch, seit er vier Monate alt ist. Möhrenmatsch fand er seit jeher doof – er sah doch, dass Peter Pasta mit Lachssauce oder Hühnchen mit Grillkartoffeln aß. Wohlgemerkt am Stück und nicht zur Unkenntlichkeit vermascht und püriert. Weil Paulchen so sein wollte wie Peter, lehnte er außerdem konsequent alles ab, was fertig aus dem Glas kam (bis aufs Obst). Gut, ohne fertigen Gemüsematsch konnte ich leben – ich selbst mag an den Inhalt der meisten Gemüse-Gläschen nicht mal riechen. Was tun also mit einem Baby, das zwar keinen einzigen Zahn, aber dafür jede Menge Appetit hatte? Sie werden’s erraten. Wir haben ihm einfach vom Tisch gegeben. Wir haben einfach weniger gewürzt und gesüßt und später gegebenenfalls für uns selbst nachgesalzen, nachgezuckert oder nachgepfeffert. Rinderbraten, Kartoffelpuffer und Gemüse wurden fein und klein geschnitten und kamen – Achtung! – vor allem aus der gleichen Schüssel wie für den Rest der Familie. Paul aß darauf hin mit Hochgenuss Wiener Schnitzel, Gurkensalat und Sauerkraut. Nein, Bauchweh hatte er nie. Paul mag am liebsten Spaghetti mit Tomatensauce, Ravioli und Pfannkuchen. Und, pssst, Paul kennt natürlich auch schon den Wohlgenuss von Himbeereis, Gummibärchen und Schokolade. Um vorzubeugen, dass jemand hektisch aufschreit und nach dem Jugendamt verlangt: Paul darf davon ganz wenig und natürlich auch nicht jeden Tag. Aber er hat nicht dass Gefühl, dass er irgendetwas weniger bekommt als Peter. Dafür hat er auch noch nie den Süßschrank geplündert. Und die Zähne putzen wir ihm selbstverständlich auch. Und sind wir einmal ehrlich: Ab und an ein bisschen Nutella naschen, das ist doch das Himmelreich. Sagen wir es mit Paul: „Deda mam. Hmmmmm.“

Wir hatten es nett

Tage mit den beiden Buben – immer spannend, manchmal anstrengend, aber immer so, dass es irgendwie doch noch etwas zu lachen gibt. Die Sonne scheint nach gefühlten 1934 Tagen endlich einmal wieder. Passenderweise dazu muss Peter einen Text für Deutsch abschreiben. Mit Füller. Über Gewitter und prasselnden Regen. Paul beäugt seinen mit der Zunge mit Mundwinkel emsig schreibenden großen Bruder vom Hochstuhl aus überaus sehr aufmerksam. „Pepe?“ Nein. „Pepe“ schreibt über trommelnden Regen und dunkle Wolken. Paul, der kann jetzt nicht. Außerdem hat Peter jetzt auch noch bei „plötzlich“ ein „t“ vergessen. Mist. Ich betrachte den Frieden gerührt und beginne, die Spülmaschine einzuräumen. „Sowas“, ereifert sich Peter, „jetzt schreib‘ ich da was über Regen… dafür hätten wir doch wochenlang Zeit gehabt. Bin ja froh, wenn mal die Sonne scheint.“ Ich schmunzle. „Nun ja, aufs Wetter kann man die Hausaufgaben nicht auch noch abstimmen.“ Peter hat sehr liebe Lehrerinnen, das sei nebenbei bemerkt. Paul indes wittert Morgenluft. Peter macht eine Schreibpause und legt den Füller unbeabsichtigt sehr nah in Regionen, die vom Hochstuhl aus sehr gut zu erreichen sind. Klirr. Der Füller kracht zu Boden. „Ommm“, sagt Paul, „deda. Ommm.“ „Ihhhhhh“, entfährt es Peter. Blaue Tinte verteilt sich wie moderne Kunst großflächig über Fliesen, Küchentheke und Barhocker. Paulchen hopst in seinem Gestell sitzenderweise auf und ab (ja, das geht… kommen Sie ruhig vorbei, wenn Sie es nicht glauben). Endlich Action im Babyalltag! Peter ist schuldbewusst und senkt den Kopf: „Och nöö, und ich bin auch noch schuld an der ganzen Sauerei. Sorry, Mami.“ Ich wiegle ab: „Was glaubst Du, wie oft MIR sowas passiert…nicht so schlimm. Hilfst Du mir kurz beim Saubermachen?“ Peter nickt. Grinst wissend. Und erinnert mich dezent an das Rührei-Schüttelbecher-Massaker und den Mixer-Kürbissuppen-Zwischenfall. Beide Male war neue, weiße Wandfarbe nötig.

Weil Paul cliffhängerverdächtig in seinem Ikea-Hochstuhl zu klettern anfängt, hebe ich ihn heraus und beschäftige ihn mit pädagogisch wertvollen Entdeckerbausteinen aus naturbelassenem Holz, fünf Schritte weiter im Wohnzimmer. Paul nickt freudig. Freiheit! Spielen! Klasse! Dass die Bausteine lautstark über den vom Mann so heiß geliebten Parkettboden schlittern und seltsame Geräusche verursachen, nehmen Peter und ich billigend in Kauf. Der Große schrubbt hingebungsvoll Theke und Hocker, ich den Boden. Die Tinte ist allerdings hartnäckig. Ich muss die Fliesen ordentlich rubbeln, obwohl Familie Kasi (aufgrund zweier öfter sauigelnden Buben) im Besitz eines superduper Hightech-Bodenschrubbers ist. Hätte ich gar nicht gedacht: Fies, das Zeugs.

Während ich links an der Wand rubble, macht es rechts an der Wand neben mir laut: „Höhöhö“. Ich sehe, wie mein selig grinsendes Baby mit roten Bäcklein und vor allem mit viel Wucht durch die letzte große Tintenpfütze patscht. Nein, hechtet. Paul hat Spaß. Gibt’s ja nicht immer, so einen blauen See in der Küche. Trotz der Schweinerei hat das ganze eine gewisse Situationskomik. Heute Abend lohnt sich die Badewanne. Und Herr Kasi fragt, wenn er heimkommt, sicher wieder: „Naaaa, hattet Ihr es nett?!“ Oh ja. Im Großen und Ganzen schon :-).

Ein ganz normaler Morgen

Schon häufig habe ich über unseren – sagen wir es freundlich – mitunter sehr unorthodoxen Familienalltag berichtet. Heute Morgen müssen die Kids zur Oma, weil Frau Kasi ins Büro einen Stock tiefer geht. Herr Kasi spielt Chauffeur, die Oma weiß Bescheid. Nur: Ausgerechnet heute schlafen beide Frühaufsteher lange. Herr und Frau Kasi frühstücken in absoluter Stille gemeinsam. Selten und ungewohnt. Keine Müslischüssel fällt unter den Tisch. Kein Wasserglas. Nur Ruhe und Kaffee und Nutellabrot. Wie langweilig.

6.45 Uhr: Endlich. Peter schlurft in die Küche. Verschwurbelt und grußlos: „Bin aber schon ganz lange wach. Hab schon lange gelesen.“ Aha?! Vor etwa zweieinhalb Minuten hat er noch tief geschlafen. Erster Griff zur Musikbox. Nein. Atzen und Discopogo brauchen wir noch nicht. Nein, die drei Fragezeichen sollen auch noch nicht ermitteln.
6.54 Uhr: Paul kräht durchs Babyphon: „Baba? Mama? Lalalalaa…“ Herr Kasi ist erleichtert. So kommt er zu einer menschlichen Zeit ins Büro.
7.01 Uhr: Peter findet keine frische Unterhosen, was ihn irgendwie so gar nicht stört. Im Wäschekorb, wo frisch zusammengelegte liegen, mag er nicht suchen: „Ich lass‘ einfach die hier an. Ist ja noch gut. Mit Spiderman.“ Kurzer Kampf. Frau Kasi gewinnt. Auch wegen frischer Socken und Zähneputzen. Kämmen wird heutzutage vollkommen überbewertet. Und: Wer braucht einen Kamm, wenn man Gel hat? Eben.
7.03 Uhr: Paul findet Wickeln doof und windet sich wie ein Aal. Dabei pieselt er die Unterlage, sich und die frische Wäsche voll. Weil die Riesenpfütze warm und groß ist, patscht er mit der Hand hinein. Paul lacht fröhlich. Herr Kasi wischt sich dezent Pipi vom Hemd und fragt nach einem neuen.
7.05 Uhr: Paul mag die weiße Strumpfhose nicht, was ich ehrlich gesagt verstehen kann. Als Mädchen fand ich sie schon schlimm genug, für einen Jungen, so sagt Herr Kasi, seien sie entwürdigend. Trotzdem ist Winter, auch wenn wir April und kalendarischen Frühling haben, und Paul muss sie anziehen. Den Beinkleid-Nahkampf gewinnt Herr Kasi: „Bababa lalala. Ommma.“ Paul wendet sich demonstrativ ab. So. Das hasse davon, Papa.
7.09 Uhr: Paul hat Hunger und bekommt noch einen kleinen Snack. Peter hat keinen und meckert über unser Müsliangebot. Viel zu gesund. Zu wenig süß. Und überhaupt: Wer sagt, dass man frühstücken muss?
7.12 Uhr: Pauls Schuhe sind weg. Peters auch. Und Herr Kasi sucht bei seinem Ipod die Dauer-Uhr. Was auch immer das sein mag.
7.13 Uhr: Peter kümmert sich um den Ipod: „Was hast Du auch wieder gemacht? Wenn man Dir mal was Technisches gibt.“ Paul zieht sich die soeben gefundenen Schuhe wieder aus. Das Telefon klingelt. Wo bitte liegt es wieder?
7.14 Uhr: Telefon hinter dem Blumentopf gefunden. Die umsichtige Oma. Sie hat keine Windeln mehr. Hektisch also wieder zwei Stockwerke höher. Windeln… Hmmm. Peter hat den Wickeltisch umsortiert. Ah. Da. Allerdings sind nur noch billige da. Kurze Suche nach den besseren, die Paul auswärts immer kriegt. Puh. Herr Kasi: „Sollte man noch einkaufen, so gute Windeln.“ Unausgesprochen: „Sollte man“ heißt: „Mach‘ doch Du mal…“ Ich weise ihn darauf hin, dass er heute mein Auto hat.
7.24 Uhr: Abfahrt. Frau Kasi frühstückt noch einmal. Stress macht hungrig. Kaffee und Nutellabrot, you made my day.

Die verzweifelte Suche nach Nonni

Hat Ihr Kind auch ein Kuscheltier? Eines, ohne das es ganz gewiss und zu 100-prozentiger Sicherheit nie im Leben einschlafen kann? Eines, das mit in den Urlaub reist, mit zur Oma fährt und selbstverständlich auch beim Zahnarzt mit von der Partie ist? Während Paul sich mit einem Kuscheltuch à la Sesamstraßen-Samson begnügt, hatte Peter immer einen besonderen Freund: Nonni, einen kleinen und zugegebenermaßen sehr niedlichen Löwen auf Flauschstoff. Nonni kam zu uns, als uns Peters Schnuller (genannt Nonni) verließ. Quasi als Abendersatz schenkte ich ihm damals den kleinen Fellracker, einen neuen Nonni, der die Zähne nicht krumm machte. Seinen Schnulli vermisste Peter von da an wirklich nicht mehr. Allerdings suchten wir statt des Schnullis abends regelmäßig den kleinen Löwen. Der ist, seit er bei uns wohnt, ein Weltenbummler. Nie ist er dort, wo wir ihn vermuten. Nonni hält sich gern in der Speisekammer auf oder im Bad bei den Duschgels. Er schläft in der Werkzeugkiste oder auf den leeren Saftflaschen. Irgendwie hat er aber trotz all seiner Ausflüge, Sparkasse, Großmarkt oder Innenstadt, stets zu uns zurückgefunden. Das klappte sehr, sehr lange.

Bis auf einmal. Trotz intensivster abendlicher Suche blieb Nonni verschollen. Peter weinte um seinen kleinen Fellfreund dicke Krokodilstränen. An Schlaf war freilich nicht zu denken. Ohne Nonni wollte Peter nicht ins Bett. Nachts um 23 Uhr stellten wir erschöpft die Suche ein. Das Kind war voll Trauer auf dem Sofa eingenickt, tränennass und selbst im Schlaf tief schluchzend. Und alles wegen Nonni, einem kleinen Stofflöwen.

Tags darauf machten wir uns hektisch auf die Suche nach einem neuen Nonni. Dieser hieß in Echt freilich nicht Nonni, sondern schnöde Rudi (HALLO??? Kann ein Savannenkönig Rudi heißen?!). Nonni-Rudi war in keinem umliegenden Spielzeuggeschäft zu bekommen. Im Internet fand ich einen Webshop, der Nonni, das Löwen-Auslaufmodell, tatsächlich noch im Programm hatte. Erleichtert schlug ich zu, acht Euro Versandkosten und zwei Wochen Lieferzeit wohlwollend ignorierend. Peter erzählte ich eine wunderbare Einschlafgeschichte, Nonni sei gemeinsam mit Felix, dem weit gereisten Hasen, auf Tour gegangen. Peter glaubte mir die hanebüchene Story dankbar und schaute sogar auf dem Globus nach, wo China ist. Nach exakt neun Tagen traf der neue Nonni ein. Aber was mussten wir sehen? Er war schlappe 15 Zentimeter größer als der alte. Nun war guter Rat teuer. Sollte ich Peter etwas von überraschendem Löwenwachstum erzählen? Von Wuchspillen? Oder diesen Größenunterschied einfach ignorieren? Oder erst einmal abwarten? Ich entschied mich für letztgenannte Variante.

Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Eine Stunde später räumte ich im Heizraum Wäsche in die Trommel. Und wer saß da auf dem Hauptwasserhahn und linste keck von oben herunter? Nonni. Leicht verstaubt, aber zweifellos der echte. Jetzt hatte ich plötzlich ein Luxusproblem in Gestalt von zwei Löwen. Ich entschied mit, dem gramgebeugten Peterchen beide Löwen auszuhändigen – mit dem Hinweis, Nonni habe von der Reise seinen Papa Bernhard mitgebracht. Nonni und Bernhard wohnen selbstverständlich immer noch bei uns, allerdings werden sie abends nicht mehr soo zwingend zum Einschlafen gebraucht.

Kleiner Junge, großes Herz

Das hier ist endlich Pauls Geschichte. Die Geschichte von einem kleinen Baby, einem großen Herzen und unfassbarem Glück.

„Sie haben ein tolles Kind. Genießen Sie die kurze Zeit, die Ihnen bleibt.“ Sind wir ehrlich: Das sind nicht die Sätze, die man als frisch gebackene Eltern hören will. In der Tat: Paul wurde nach einer zügigen Risikogeburt sehr jäh mit der Welt draußen konfrontiert. Und wir mit drei verschiedenen Kliniken. Eine größer als die andere. Wir hörten in den ersten Tagen von einem schweren Herzfehler (Pauls rechte Herzkammer war viel zu groß), jeder Menge sehr schlechter Blutwerte und letztendlich von einer potenziell tödlich verlaufenden Stoffwechselstörung. „Aber von dieser Krankheit wissen selbst wir an der Uni-Klinik kaum etwas. Sie ist viel zu selten, so dass da kaum geforscht wird. Aber meistens liegt die Lebenserwartung bei zwischen einem und fünf Jahren.“ Paul, unser kleines Baby mit den großen Knopfaugen, bekam viel Sauerstoff und wurde in der Uniklinik rund um die Uhr von allen möglichen piepsenden Maschinen überwacht, die gellend laut Alarm schlugen, wenn vermeintlich etwas nicht in Ordnung war. Noch nie in unserem Leben hatten wir alle solche Angst gehabt. Wir schliefen nicht. Wir aßen nicht. Wir verstanden nichts. Wir waren wie eingefroren. Mitten im Mai. Unser Rettungsanker in jener Zeit: unser großer Peter, der sich so rührend um sein Brüderchen kümmerte (sofern es die Klinikkabel zuließen) und immer bei uns war, wenn uns der Mut verließ.

Heute ist Paul sieben Monate alt und gesund. Er krabbelt wie ein Weltmeister, liebt Bananen, Oma Schatz‘ Stoffmäuse und vor allem seinen großen Bruder Peter. Er hasst es, gewickelt zu werden, schaut oft zum Fenster hinaus und fährt für sein Leben gern Auto. Morgens um vier lacht er gern „Gnihiii“ wie Ernie aus der Sesamstraße. Und wenn Peter aus der Schule kommt, geht in seinem kleinen Gesichtchen die Sonne auf.

Was ist unsere Weihnachtsbotschaft an Euch? Wir haben gemerkt, wie schnell das eigene Leben komplett aus den Fugen geraten kann. Plötzlich ist nichts mehr so, wie, wie es einmal war. Was einmal wichtig war, zählt nicht mehr. Alles hätten wir genau dem Arzt geschenkt, der uns gesagt hätte: „Ich mache Ihr Kind gesund. Kein Thema. Passt morgen?“ Was ist ein Haus? Was ein Auto? Ein Urlaub? Gegen Gesundheit? Zwei so tolle Kinder? Uns hat die Hoffnung über schwere Monate gerettet. Der feste Glaube daran, dass alles wieder gut werden MUSS. So leicht, wie es jetzt hier zu lesen ist, war es dann aber doch nicht. Doch wir hatten Menschen, die uns dabei halfen und zur Seite standen. Familie, Freunde, liebe Nachbarn, einen tollen Kinderarzt. Und erfahrenen Kardiologen, der sich von Blutwerten, Tabellen und Wahrscheinlichkeiten nicht in die Irre führen ließen. Sondern auf ihr Gefühl vertrauten.

Nach vielen bangen Wochen der Ungewissheit stand endlich fest, dass Pauls Herz normal arbeitet. Der Stoffwechsel-Gentest? War ebenfalls negativ ausgefallen: „Ihr Kind ist ein Kämpfer. Andere Babys hätten es mit DEM Herzen und diesen Startbedingungen nicht geschafft.“

Und wir? Wir leben heute ein anderes Leben. Wir setzen andere Prioritäten und sind dankbar für das, was wir JETZT haben. Danke, kleiner Paul! Weil a bissel Glück für di no lang net reicht….

Wir wünschen Euch zu Weihnachten alles, was wichtig ist im Leben… macht was draus. Und glaubt daran.

PETERPAUL mit Fridolin

Morgenstund‘ hat Gold im Mund

Ein Baby zu haben, bedeutet häufig auch, nachts aufstehen zu müssen. Frau Kasi ist als Schlafmütze bekannt und hat mit Folgen des Schlafentzugs besonders zu kämpfen, zumal sie nach nächtlichem Wickeln oder Schnulligeben nicht unbedingt wieder schnell einschlafen kann. Eine ganz normale Nacht im Hause Kasi.

19.45 Uhr: Frau Kasi bringt die beiden Sohnkinder ins Bett. Lesen, Singen, geht meistens schnell. Die Buben schlafen schnell ein. Blöderweise im Ehebett, weil da am meisten Platz zum Kollektivlesen ist.

20 Uhr: Fast genauso schnell geht es, bis Frau Kasi selbst schläft. Tief und fest. Herr Kasi behauptet, er verbringe mit seiner Frau einen gelungenen Abend, wenn sie die Wetterkarte der Tagesschau wach sehe.

22 Uhr: Herr Kasi kommt ins Bett. Frau Kasi sagt kurz Hallo und schläft weiter. Herr Kasi hat keinen Platz, weil die drei anderen ja in seinem Bett liegen, wo sie spontan beim Lesen von „Michel bringt die Welt in Ordnung“ eingeschlafen sind. Er verteilt jeden in seine richtige Bettstatt. Nicht immer geht das glatt. Peter meckert dabei gern, was das in aller Welt solle? Unerhört. Mitten in der Nacht umziehen müssen. So was.

2.30 Uhr: Paulchen redet fröhlich vor sich hin. Wenn aufgrund der Tageszeit niemand antwortet, Frechheit, beginnt er deutlich zu meckern und ratscht mit seiner Patschehand fröhlich die Stäbe seiner Wiege auf und ab. Dabei verheddert er sich im Stoffbezug. Das gefällt ihm gar nicht. Außerdem hat er aus unerfindlichen Gründen die Windel eben voll. Frau Kasi wird langsam wach. Herr Kasi hat da schon gewickelt. Danke! Jetzt hat Paul Hunger. Hier kann Herr Kasi verständlicherweise nicht helfen…

3 Uhr: Baby Paul ist satt. Aufgrund dieses positiven Gefühls  macht er eine tolle Entdeckung: Er kann lachen wie Ernie aus der Sesamstraße: „Grrrr.“ Und nochmal: „Grrrrr.“ Lustig zwinkert er mit seinen dunklen Knopfaugen und freut sich wie Bolle. Frau Kasi und Herr Kasi müssen trotz der frühen Stunde selbst schmunzeln. So ein kleiner Zwerg.

3.10 Uhr: Paulchen ist wieder müde und schläft friedlich. Herr Kasi und Frau Kasi debattieren, was im Garten noch gemacht werden muss. Oder welches VfB-Spiel sie mal wieder besuchen wollen. Oder was der Opa zu Weihnachten kriegt. Was man halt so bespricht morgens um 3.10 Uhr.

3.15 Uhr: Das Licht ist wieder aus. Herr Kasi schläft tief und fest, Frau Kasi strickt heimlich bei heimeliger Beleuchtung der Nachttischlampe einen Schal für Peter.

3.30 Uhr: Frau Kasi wird müde und löscht schnell das Licht. Schnell noch ne Runde schlafen. Jetzt, wo sie endlich schläfrig wird.

3.32 Uhr: Frau Kasi schläft fast. Da schlüpft ein großer, kalter Frosch herein. Es ist Peter. Er hat schlecht geträumt und will kuscheln: „Ich hab‘ geträumt, der Computer ist kaputt. Und das iPhone auch. Und der Strom war auch weg.“ Oha, was für fiese Alpträume.  Frau Kasi ist wieder hellwach. Und hat Hunger. Und schaut heimlich, ob der Computer noch läuft. Dabei entdeckt sie, dass das Licht in Peters Zimmer noch an ist. Schnell aus damit. Unnötige Energieverschwendung. Weil der Hunger immer größer wird, geht sie in die Küche.

3.45 Uhr: Ein Nutellabrot später strickt Frau Kasi wieder. Sie kann nicht wieder einschlafen und überlegt, ob sie die Steuerunterlagen sichten soll. Weil das Büro vielleicht kalt ist, strickt sie im Bett weiter. Wenigstens wird der Schal länger.

4.30 Uhr: Paul meckert. Er hat die Windel voll. Und Hunger: „Auauauauau. Hmpf. Ahhhh. Grrrrr.“

5.30 Uhr: Peter ist ebenfalls wach. Er hat Hunger: „Gibt’s schon was? In der Küche steht das Nutella!? Habt Ihr schon gefrühstückt?“

6 Uhr: Familie Kasi muss aufstehen: Morgenstund‘ hat Gold im Mund. Paulchen und Peter spielen Fernsehen und lachen sich kaputt, weil Paulchens Nase der Einschaltknopf ist. Ach, Ihr Augenringe, Tränensäcke und und Krähenfüße, Ihr lohnt Euch doch. Grrrrrr.