Schneller als ein Ferkel blinzelt

„Da könnte ich gleich einen Sack Flöhe hüten…“ Wie oft habe ich das von meiner eigenen Mama gehört, wenn ich wieder einmal auf dem Wochenmarkt ausbüchste (Fundort: Wurststand) oder mal eben in High Heels die Zugangsstraße zu unserem Wohngebiet abschritt. Wohlgemerkt: NUR in Mamas High Heels, also splitternackt, am Sonntag, morgens um 7 Uhr und mit zweieinhalb Jahren. Ich war damals wohl das, was man als „sehr lebhaft“ oder weniger freundlich als „Rabauke“ beschreiben könnte. Nichts und niemand war vor mir sicher.

Als mein Großer in jenem Alter war, war er diesbezüglich weniger draufgängerisch, sondern ein eher vorsichtiges Kind. Peter war nicht direkt ängstlich – ihm wäre es aber nie in den Sinn gekommen, morgens um 7 Uhr spazieren zu gehen und noch dazu alleine. Er hat in jener Zeit eher den Fernsehapparat angeschaltet, nach Bob Baumeister gesucht oder nach Benjamin Blümchen, sämtliche Fernbedienungen auseinander genommen und wieder zusammengebaut. Paul ist anders: Paul haut öfter ab als mir lieb ist – an und für sich müsste man ihm dauerhaft eine Notfall-Nummer um den Hals hängen. In Bruchteilen von Sekunden ist Paul weg. Wie sagte es einmal Astrid Lindgren? Schneller, als ein Ferkel blinzelt.

Egal ob er bei Nachbars durch die Terrassentür ins Wohnzimmer einsteigt („Hat Würstle gebt, Mama…“) oder die Straße hinaufläuft zur anderen Nachbarin („Paul Eis kriegt…“) oder beim Einkaufen, haste-es-nicht-gesehen, zwei Gänge eher abbiegt, während Mama unentschlossen vor den Joghurts steht: Paul bekommt ohne elterlichen Geleitschutz seltsamerweise nie Panik. Wir als Eltern schon. Es ist definitiv ein Super-GAU: eine höllische Freizeitbade-Insel (die ich eh wie die Pest hasse). Ferien. Und plötzlich fehlt der Kleine, weil Peter uns kurz demonstriert, wie toll er den Köpper kann und wir eben mal nicht richtig geguckt haben. Paul kommt kurz darauf mit zwei älteren Damen wieder ums Eck‘, die uns beglückwünschten zu einem so süßen Kind: „Und so freundlich!“ Ich, kurz vor der Schnapp-Atmung und leicht hyperventilierend, stammle mit Tränen in den Augen ein kurzes „Dankeee“. Und Paul? Winkt fröhlich und ruft: „Tsüsss, Ihr Ommas…“ und fragt sicherheitshalber noch einmal: „Sokolade?“ Man weiß ja nie.

Was ich Ihnen sagen will? Als junge Frau habe ich mich oft gefragt, wie es meine Eltern zulassen konnten, dass ich so viel aushecken konnte. Die Spalte in meinem gelben Kinderalbum, in der steht: „Das habe ich schon angestellt…“ ist nicht nur prallvoll, sondern wurde umfänglich durch Ankleben von Extrapapier verlängert. Gefragt nach Anekdoten mit ihrer einzigen Tochter, hätte meine Mutter wohl spontan eine Vortragsreihe im Vhs-Saal organisieren können. Oft habe ich gehört: „Das ging so fix bei Dir… wir waren einfach nicht schnell genug…“ Und ich? Konnte das nie verstehen. Wie kann ein Kind aber auch in der Garage Reifentürme hochklettern? Das Unverständnis dafür blieb – auch als Peter längst schon auf der Welt war. Ich nahm irgendwie an, dass alle Kinder so vernünftig sind wie mein Großer. Heute muss ich meinen Eltern jeden Tag mehrfach Abbitte tun. Wenn Paul mal eben (während eineinhalb Minuten Zähneputzen) vier Dymo-Bänder abwickelt. Oder 30 Filzstifte auseinanderbaut. 55 Kuscheltiere aus seinem Zimmer in den Flur wirft. Oder eben, wenn er bei Nachbars seelenruhig Würstchen isst und ihn drei Mann suchen. Seit Paul da ist, wiege ich deutlich weniger als vorher, weil ich irgendwie immer in Bewegung und Alarmbereitschaft bin. Gestern war ich ganz ohne Kinder eine Stunde lang einkaufen. Es war höllisch langweilig.

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