Eine spontane Zeitreise

Letztes Jahr hatten der große Sohn und ich eine sehr lustige Begegnung, an die ich oft denken muss. Und das kam so…. Auf eine Tour vom Bodensee heim kamen wir am Firmen-Areal eines großen Wohnmobil-Herstellers vorbei, der zufälligerweise zum Tag der offenen Tür geladen hatte. Immer interessiert an Fahrzeugen aller Art, machten wir Halt. Wohnmobile gucken. Was tut man auch sonst an einem sonnigen Sonntag am späten Mittag.

Peter und ich schauten uns alle, aber auch wirklich alle der gefühlt 564 Vehikel an. Alte, neue, große, kleine, spartanische, voll ausgestattete. Das letzte Wohnmobil in der Reihe war besonders stattlich und schien sehr luxuriös zu sein. Es parkte wohl deshalb auch etwas abseits. Der Thronfolger schrie begeistert: „Mama, guck‘ mal, da steht noch ein ganz cooles Teil! Da gehen wir jetzt auch noch rein!“ Warum auch nicht? Auf eins mehr oder weniger kam es ja auch nicht an. Ich folgte dem Sohn mit müdem Schritt. Seltsame Idee bei 30 Grad im Schatten. Ich wollte lieber eine Bluna trinken. Und einen Kuchen essen.

Peter rüttelte also mit viel Radau und überaus beherzt an der Eingangstüre des Wohnmobils, die irgendwie zu klemmen schien. Urplötzlich sprang der Riegel dann doch auf. Die Tür öffnete sich in Zeitlupe. Leider gab sie keinesfalls den Blick in das Wohnmobil frei. Denn in der Tür stand ein groß gewachsener, braun gebrannter und fröhlich lächelnder Mann mit dichtem Vollbart. Peter wich zurück – damit hatte er nicht gerechnet. Und ich natürlich auch nicht. Nach dem zweiten Blick auf den Herrn, dem das teure Mobil zu gehören schien, begann mein Gehirn zu rattern. Mist, irgendwoher kannte ich ihn. Gehirn, wo bist Du? Einen Geistesblitz später hatte meine Denkmaschine seinen Namen in ihren Untiefen ausfindig gemacht: Harry Wijnvoord. Hier? Im Wohnmobil? Das musste die Hitze sein.

Sie erinnern sich an Harry Wijnvoord? Den freundliche Moderator mit unverkennbar holländischem Zungenschlag, der in den tiefen 90-ern für einen Privatsender „Der Preis ist heiß“ moderiert hatte und vor einigen Jahren sogar in den Promi-Dschungel gezogen war? Unter der Wohnmobil-Tür eben dieses Herrn standen wir jetzt also, der Sohn und ich. Peter hatte mittlerweile auch bemerkt, dass das kein „Heute-ist-Tag-der-offenen-Tür-Besichtigungs-Wohnmobil“ war. Denn Herrn allerdings kannte nur ich, weshalb es nur mir komplett die Sprache verschlug, was nicht allzu oft vorkommt. Der Sohn hatte sich von daher schneller wieder im Griff. Mit rotem Gesicht flüsterte er heiser: „Oh, entschuldigen Sie bitte… wir dachten…“ 

Harry Wijnvoord indes störte sich nicht an unserem ungeplanten Spontan-Besüchlein. „Immer hereinspaziert“, rief er gut gelaunt. Mich katapultierte er mit seinem niedlichen holländischen Akzent sofort ins Wohnzimmer meiner Eltern vor den alten Saba-Fernseher. Ich war 16 Jahre alt, die Mathe-Hausaufgaben lagen wieder einmal brach, weil ich bei herrlichem Wetter mittags lieber vor der Glotze lag und zuschaute, wie Harry Wijnvoord Tischdecken, Kassettenrekorder oder Fernrohre an den Mann brachte… Mein Gott. Die Hitze.

Von meiner tiefen Abneigung zu Mathematik und Wahrscheinlichkeitsrechnung wusste Harry Wijnvoord an diesem warmen Tag natürlich nichts: „Darf ich dem Herrn und der charmanten  jungen Mama mein bescheidenes Heim zeigen? Ein Wasser gefällig? Oder vielleicht sogar ein Gläschen Wein?“ Bevor ich: „Nein danke, wir gehen wohl besser, wir haben uns in der Tür vertan…“, sagen konnte, war mein Sohn bereits nach drinnen in Harrys Luxusgefährt gehopst und und plauderte mit dem Gastgeber bei kühler Limo über die Vorzüge der ungeahnten Freiheit, die ein mobiles Heim bietet. Ah, Harry Wijnvoord warb für diese Firma. Gerade unterhielten sie sich über die Toskana im Herbst. Eine Begegnung der dritten Art, hätte meine sächsische Kollegin gesagt, „Kasi, so unwirklisch wie eine biblische Erscheinung…“Genauso ging es mir gerade auch.

Meine Sorgen waren unbegründet – so langsam fand ich mich selbst wieder. Mensch, was war der Mann nett und aufmerksam. Das Wohnmobil bot sogar einen Klimaschrank für feinen Rotwein! Zwei Gläser Limo später sagten wir dann aber wirklich „Tschüss!“ Draußen vor der Tür sagte der Sohn: „Mama, sag‘ mal, kanntest Du den Mann? Irgendwie hatte ich den Eindruck…“ Da erzählte ich ihm von den Mathe-Hausaufgaben an jenem sonnigen Mittag in den 90-ern.

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