Nacktes Subtrahieren

Oh, kleiner Gnom, Du wunderbares Kind! Manchmal ist es erschreckend, wie ähnlich Du mir bist. Paul ist krank, ich auch, gemeinsam holen wir den versäumten Unterrichtsstoff nach. Ich hustend, vergrippt und nach Luft schnappend, Paul nach Fieber bleich und etwas quengelig, weil er gern „glotzen“ würde. Nicht die allerbesten Voraussetzungen also. Paul muss rechnen, hm, sagen wir mal so, er macht lieber Deutsch. Subtrahieren. „Boah, wie blöd. Können wir nicht lesen?“, versucht er mich zu locken, mit zuckersüßer Stimme, „allerbeste Mami.“ Ich bleibe hart: „Nein, jetzt wird gerechnet.“ Paul ergibt sich klaglos in sein Schicksal. Ich wundere mich. Paul ohne Diskussion? Ganz ohne „Aber“? Oder eine klitzekleine Meckertirade? Er spitzt den Bleistift. „Fein“, denke ich bei Thymiantee und Keksen, „wird alles besser. Er hat verstanden, dass er so nicht davonkommt.“

Von wegen. Zu früh gefreut. Paul liest mit akribischer Sorgfalt alle, wirklich komplett alle, Arbeitsanweisungen der Doppelseite, mit jedem Punkt und jedem Komma. Und das, obwohl, sagen wir’s mal so, die Aufgabenstellungen intuitiv verständlich und ganz ohne Lesen ersichtlich gewesen wären. Irgendwann gibt’s dann wirklich nichts mehr zu lesen. Paul fängt tatsächlich an zu rechnen. „20 minus 12“, steht da. Plötzlich, und ich seh’s genau, blitzt Schalk in seinen Augen. Er zieht seine Hausschuhe aus und stellt sie feinsäuberlich nebeneinander unter seinen Stuhl. Dann legt er die Feuerwehrmann-Sam-Socken ab, faltet sie zusammen und legt sie daneben. Und plötzlich stützt er seine nackten Füße auf dem Tisch ab. Ich frage einigermaßen baff, was das jetzt bitteschön solle. „Mama,“, grinst mein Sohn, „ich hab‘ doch nur zehn Finger. Da muss ich schon die Zehen zu Hilfe nehmen.“

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