Was passiert, wenn die Zeit knapp ist? Richtig. Alles dauert NOCH länger als sonst. Heute wieder am eigenen Leib erfahren. Gegen 11 Uhr mit Pressetermin fertig. Super, denk‘ ich mir da, reicht gerade noch zum Einkaufen, um pünktlich am Kindergarten zu sein. Und so düse ich in de nächsten Supermarkt. Natürlich erwische ich einen Wagen, der nicht richtig läuft. Sprich: Eins der vier Rädchen klemmt. Massiv. Nur mit vereinten Kräften schaffe ich es überhaupt, das Gittermonster vorwärts zu bewegen. Egal, denk‘ ich, ich brauch‘ ja nich viel. Und betrete den Supermarkt.
Nanu, denk‘ ich, wieso ist das Gemüse plötzlich vorne links und nicht mehr hinten rechts? Stimmt. Ich als (unaufmerksame, jaaaaa, ich gebe es zu) Zeitungsleserin erinnere mich vage daran, dass aus dem Famila-Markt ein Kaufland-Markt wurde. Stimmt ja, unzählige Logos an den Wänden künden davon. Dummerweise sind die Regale auch komplett anders angeordnet als früher, so dass ganz fluchs für mich aus dem Markt ein Labyrinth wurde. Bis ich Fisch, Käse, Joghurt und Eier beisammen habe, vergeht eine gefühlte halbe Ewigkeit. Ach ja, schnell noch ein paar Kartoffel-Buchstaben zum Einkaufen in den lahmenden Wagen gepackt. Geht schön schnell, und das Sohnkind mag sie als Beilage frisch aus dem Backofen. Leider habe ich keine Uhr mit. Ich hoffe, es reicht noch zum Kindergarten.
Dummerweise hat nur eine Kasse auf. In der Schlange stehen unzählige Rentner. Prima, denke ich zynisch, die hätten doch wahrlich den lieben, langen Tag Zeit zum Einkaufen. Und überhaupt? Ordentliche Menschen (mich ausgenommen) essen doch pünktlich um 12 Uhr zu Mittag. Offenbar sind nicht einmal mehr die Rentner von heute das, was sie einmal waren, schlussfolgere ich messerscharf. Während ich meine Siebensachen endlich auf das Kassierer-Förderband schleudere und mich in weiteren Überlegungen zum Verfall der Zeiten verliere, zieht plötzlich ein lauter Knall mein Interesse jäh auf sich. Die Tüte mit den Superduper-Kartoffelbuchstaben („Prima, da kann ich meinen Namen essen“) ist ganz schnöde geplatzt. Ja, Sie lesen richtig. Geplatzt. Ein keckes E und zwei Rs flutschen der Kassiererin entgegen. Sehr zur Freude der hinter mir stehenden Rentner flitze ich, den vorwurfsvollen Blick unter der grauen Dauerwelle ignorierend, zum Tiefkühlfach und hole mir neue Buchstaben. Atemlos komme ich wieder an der Kasse an. Um fassungslos festzustellen, dass mir zum Kindergarten-Schluss noch exakt 13 Minuten bleiben. Üblicherweise dauert eine Fahrt 20 Minuten. Macht also wiederum exakt sieben Minuten zu wenig Zeit. Ich bezahle hektisch und flitze, so gut es mein lahmender Wagen eben zulässt, zum Ausgang. Wenigstens mein Fitness-Studio-Abo rentiert sich an diesem Tag.
Weil ich in jüngster Zeit schon zweimal geblitzt worden bin (einmal ganz sicher), bemühe ich mich um wenig Gas. Ist aber gar nicht so einfach, wenn man vor dem geistigen Auge ein kleines Männchen hat, das mit großen Augen vorwurfsvoll sagt: „Ach Mama. Du hast mich gar nicht lieb. Die anderen Mamas kommen immer schon, BEVOR der Kindergarten aus ist.“ Weil ich auch an die lieben Erzieherinnen meines Sohnkinds denke, rufe ich kurz an. Wie gut das tut: „Immer mit der Ruhe“, sagt die beruhigende Stimme der Kindergartenchefin, „wir sind doch da. Und Peter auch.“ Ich danke Gott für diese Menschlichkeit. Und ärgere mich über die dritte Fahrschule, die sich soeben pflichtbewusst VOR mir eingeordnet hat und genauso pflichtbewusst auf das Tempo achtet. Mist aber auch.
Rennenderweise komme ich endlich im Gruppenraum an. Alle sind fröhlich, heiter und entspannt. Kein vorwurfsvoller Blick streift mich, man fragt MICH sogar, wie es MIR geht. Peinlich berührt lege ich eine Tafel Schokolade auf den Tisch. Nehmen will die eigentlich keiner. Warum eigentlich nicht? Mir haben diese acht Minuten Verspätung das Leben gerettet. Und es ist schön zu wissen, dass es Menschen gibt, die um solch eine Geste keine große Sache machen. Ich hoffe, die Schokolade schmeckt. Danke! Manche Engel arbeiten auf Erden und ganz konkret im Kindergarten.