Meine Oma Klara wurde nach der Geburt ihres Urenkels Peter zu „Oma Kläri“, weil Peter das schwäbische „Oma Klärle“ nicht aussprechen konnte. Vor knapp einem Jahr ist Oma Kläri gestorben. Ich denke gerne an ihre große Gelassenheit und ihren knitzen Humor zurück, an dicke Pfannkuchen oder samstägliche Ausflüge zur Oma. Nach ihrem Tod erbte ich einige ihrer Schätze, die ich wie meinen Augapfel hüte. Meine Oma besaß zeitlebens nie einen Führerschein, sie war eine fleißige Frau, die stets hart arbeitete und von der Welt nicht allzu viel gesehen hat – wie viele Frauen aus ihrer Generation. Verreist ist sie nicht allzu viel – wenn meine Brüder oder mein Mann auf Geschäftsreise gingen, war sie immer sehr nervös, bis alle wieder wohlbehalten gelandet waren. Oma Kläri ist nie geflogen, allerhöchstens einmal mit dem Verein via Bus nach Imst gereist.
In ihrem großen, dunklen Buffet im Wohnzimmer standen immer fünf bunte, langstielige Sektgläser, bedruckt mit den Motiven des Gardasees, mediterrane See-Szenen aus Riva, Limone oder Gardola. Zweifellos ein Souvenir, ein lieb gemeintes Reisemitbringsel. Als Kind dachte ich immer: „Aus solchen Gläsern muss eine Prinzessin trinken.“ Wie gern hätte ich eins ausgeliehen, um meinen gelben Sprudel oder mein Apfelschorle daraus zu schlürfen und mich wie eine Prinzessin zu fühlen… Wenngleich ich bei meiner Oma Klara nahezu alles bekommen habe und sie mir kaum einmal einen Wunsch abschlug: Diese Gläser gab sie mir nie. Sie waren tabu, standen erhaben und hoch oben in der Vitrine des Wohnzimmerbuffets. Genauso hütete sie einen Serviettenhalter aus Canada, den ihr eine Nachbarin geschenkt hatte, die dorthin ausgewandert war, oder eine Steinschildkröte, ein Mitbringsel von mir aus dem Griechenland-Urlaub. Heute erscheint es mir, dass genau diese Dinge einen Hauch der weiten Welt in ihr kleines Häuschen brachten. Eine weite Welt, die sie nie so richtig gesehen hatte. All diese Erbstücke sind mir allein deshalb so wertvoll.
Trotzdem war Oma Kläri nie unzufrieden mit ihrem Dasein. Sie liebte Ihr Häuschen und vor allem ihren Garten. Wenn die Gladiolen wuchsen und die Johannisbeeren besonders üppig ausfielen, war sie glücklich – ohne Canada, Griechenland und den Gardasee. Es genügte ihr, in ihrem „Gärtle“ zu „schoren“, wie es auf gut Schwäbisch hieß. Meine Oma war auch die letzte Frau in meiner Erinnerung, die pastellfarbene Kittelschürzen trug für grobe Arbeit. Über die Besuche ihrer Enkel freute sie sich stets, stille Vorwürfe wie: „Ihr kommt so selten…“ oder „Lasst Ihr Euch auch mal wieder sehen…“ hörten wir Enkel definitiv nie. Auch wenn dieser Satz häufig den Nagel auf den Kopf getroffen hätte. Heute denke ich, dass das eigentlich das größte Geschenk ist: mit dem zufrieden sein, was das Leben einem bietet und nicht immer über das zu hadern, was man nicht hat. Von Oma Kläri, finde ich, könnten sich da viele Zeitgenossen einmal eine Scheibe abschneiden.