Ja, wenn einer eine Reise tut: Matthias Politycki nahm am Donnerstag seine Besucher vom Maschenmuseum aus mit auf eine rund zweistündige Abenteuertour in Sachen Literatur.
Tailfingen. In 180 Tagen um die Welt ist der 54-Jährige Autor selbst gereist: an Bord eines feudalen Kreuzfahrtdampfers à la Traumschiff. Dort war er „Schiffsschreiber“, unterhielt die gut betuchten Reisegäste mit einem erlesenen Kulturprogramm. Und schrieb einen Roman über seine Zeit mit leuchtenden Sektkübeln, Galaempfängen und Landgängen.
Skurrile Menschen muss der gebürtige Karlsruher in diesem halben Jahr zwischen Besatzungsdeck, Sansibar und Maschinenraum getroffen haben. Im winterlichen Tailfingen wurde man bei der ersten offiziellen Lesung im Rahmen der Literaturtage deshalb richtiggehend neidisch. Manches, plauderte der Autor aus dem Nähkästchen, sei wahr wie beispielsweise die Reisestrecke, anderes frei erfunden. „Aber damit eins klar ist. Die Wirklichkeit toppt die Phantasie bei weitem“, flachste der 54-Jährige. Um unkend nachzuschieben, sein Lektor habe beim Gegenlesen manches ungläubig angestrichen – weil er es nicht glauben konnte.
Unfreiwilliger Held des dicken, blauen Reise-Logbuchs ist Johann Gottlieb Fichtl, ein kleiner Finanzbeamter aus der bayrischen Provinz, der obendrein auch noch eine unverständliche Liebe zu Motivkrawatten mit Grinsekatzen oder Ananasfrüchten hegt. Fichtl genießt seine Reise auf dem Luxuskahn trotz Seekrankheit, Eiweißschock und Aldi-Smoking in vollen Zügen, stolpert von einer illustren Gesellschaft in die nächste Hautevolee. Und mitunter bekommt man den Eindruck, dass der Fichtl Hannes zwischen all den neureichen Tofu-Hummer-Liebhabern, den auf Kapitänsempfängen lauernden Neureichen und den laut atmenden Yoga-Anhängern, die sich von einem Hafen zum nächsten atmen, der Normalste an Bord ist. Obwohl er nicht als Anfänger dastehen will.
Matthias Politycki las nicht nur aus „In 180 Tagen um die Welt“, sondern unterhielt sich auch mit Thomas Vogel entspannt über die eine oder andere Anekdote aus seiner Zeit als Seefahrer. Dabei nahm er die belustigten Zuhörer kurzerhand mit an Deck. Zwischen all den textilen Ausstellungsstücken des Maschenmuseums wehte stellenweise fast schon eine salzige Meeresbrise. Glaubte man zumindest.
Doch Politycki ist nicht nur ein Weltreisender in Sachen Literatur, sondern auch ein feinsinniger, espritvoller und messerscharf beobachtender Lyriker. Sein Band „Die Sekunden danach“ verfügt genau über 88 Gedichte – und ein gutes Dutzend davon gab es ebenfalls zu hören. Da ging es treffsicher um den Alltag, das wahre Leben, ohne Beschönigung, aber mit viel Humor, ohne Bösartigkeit, aber dafür mit einem diskreten Augenzwinkern – egal ob wegen Badeschlappenschönheiten, Filzpantoffeln in einer langen Beziehung oder verhinderter Romanzen.
kasi für Zollern-Alb-Kurier